Konflikt und Ausgleich. Möglichkeiten der Aushandlung in Residenzstädten der Vormoderne

Konflikt und Ausgleich. Möglichkeiten der Aushandlung in Residenzstädten der Vormoderne

Organisatoren
Projekt „Residenzstädte im Alten Reich (1300–1800)“, Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Arbeitsstelle Kiel, c/o Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Ort
Kiel
Land
Deutschland
Vom - Bis
14.09.2016 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Johanna Rödger / Mirja Piorr, Projekt "Residenzstädte im Alten Reich (1300–1800)", Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Arbeitsstelle Kiel

Das zweite Atelier des Projekts „Residenzstädte im Alten Reich (1300–1800)“ fand am 14. September 2016 im Internationalen Begegnungszentrum der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel statt und stand unter dem Thema „Konflikt und Ausgleich. Möglichkeiten der Aushandlung in Residenzstädten der Vormoderne“. Damit beschäftigte sich die Veranstaltung mit einem zentralen Aspekt des Forschungsvorhabens der Göttinger Akademie, das Aushandlungsprozesse zwischen herrschaftlichen und städtischen Akteuren in den Residenzstädten des Alten Reiches beobachtet. Die Tagung bot Nachwuchswissenschaftlern die Möglichkeit, ihre aktuellen oder kürzlich abgeschlossenen Forschungsprojekte vorzustellen. In den einzelnen Vorträgen wurden vor allem Konflikte und die unterschiedlichen Möglichkeiten ihrer Beilegung – etwa militärisch oder auf dem Verhandlungsweg –, aber auch Prozesse der Aushandlung in den Blick genommen. Den Auftakt gab GERHARD FOUQUET, der Vorsitzende der Leitungskommission des Projekts, mit einer einleitenden Skizze.

Im ersten Vortrag präsentierte STEPHAN SANDER-FAES (Universität Zürich) unter dem Titel „Residenzstadt oder Stadtresidenz? Akteure, Normen und Praktiken am Beispiel Krumaus (um 1700)“ einen Teilaspekt seines Habilitationsprojekts „Österreichs Aufstieg zur europäischen Großmacht. Böhmen, Österreich und die Habsburger (17./18. Jh.)“ und ging auf das Spannungsfeld und die wechselseitigen Ver- und Entflechtungen zwischen Hof und Stadt in Böhmisch-Krumau zwischen 1665 und 1710 ein. Der Blick richtete sich vornehmlich auf die fürstliche Verwaltung. Dabei behandelte Sander-Faes besonders die Konflikte zwischen Herrschaft und Stadt, etwa in der Steuerpolitik. Die Bezüge zwischen Fürst und Stadt machte er auf zahlreichen Ebenen – so etwa formell am Steuerwesen sowie informell anhand von Verträgen und Besprechungen – aus. Besonders hob er hervor, dass statische Konzepte und ein Blick „von oben“ zur Darstellung der wechselseitigen Beziehungen zwischen Stadt und Herrschaft wegen der Dynamik in der Interaktion der Partner nicht geeignet seien. Vielmehr biete sich ein Modell der konkreten Zusammensetzung von Stadt und Herrschaft an. Der potentielle Wert eines solchen Modells ermisst sich gerade daran, dass es sich bei Krumau in Hinblick auf viele der vorgetragenen Aspekte um keinen Sonderfall handelte, wie in der anschließenden Diskussion herausgestellt wurde.

Ein biographisch ausgerichtetes Dissertationsprojekt unter dem Arbeitstitel „Christian Cruwell – Das Leben eines Lemgoer Kaufmannes im ausgehenden 16. Jahrhundert“ stellte NANCY LAMBERTZ (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf) vor. Cruwell, der durch seinen Vater in die Kaufmannsmatrikel aufgenommen wurde und Ende des 16. Jahrhunderts dessen Geschäfte übernahm, wurde in der Forschung bisher häufig als Muster eines untauglichen Kaufmanns dargestellt. Unter anderem dieser Einschätzung will Lambertz in ihrer Arbeit nachgehen. Ihre Betrachtungen konzentrierten sich auf die überlieferten Prozessakten einer Auseinandersetzung zwischen Christian Cruwell und Graf Simon VI., der die Burg Brake bei Lemgo zu seiner Residenz ausgebaut hatte. Von ihm hatte Cruwell sich einen größeren Betrag geliehen. Der spätere Rechtsstreit drehte sich allerdings neben dem Geld vor allem um eine angebliche ehrabschneidende Beleidigung des Grafen durch Cruwell. In die Auseinandersetzung, die bis vor das Kammergericht getragen wurde, schaltete sich auch der Rat der Stadt Lemgo ein, der sich trotz früherer Zwistigkeiten mit Simon VI. auf dessen Seite stellte und im Laufe des Prozesses große Teile des Cruwellschen Besitzes einzog.

Die Kunsthistorikerin MAREN BIEDERBICK (Graduiertenschule „Human Development in Landscapes“, Kiel) referierte unter dem Titel „Von Cosimo il Vecchio zu Cosimo I. – Herrscher-Inszenierung der Medici durch Impresen-Anbringung im öffentlichen und privaten Raum“ zur Selbstdarstellung der Medici in Florenz. Den Beobachtungsrahmen bildete die Zeit von Cosimo il Vecchio bis zu Cosimo I. (1434–1574). Die Herrschaftszeiten beider Medici ähneln sich insofern, als dass sie die Herrschaft über Florenz jeweils erst nach der Heimkehr aus dem Exil zurückerlangten, die Geschicke der Stadt dann beide Male über drei Jahrzehnte hinweg lenkten und die Herrschaft an ihre Kinder weitergeben konnten. Biederbick zeigte, wie unter Cosimo il Vecchio die Impresen der Familie zunächst vor allem in halböffentlichen Räumen, wie in der Loggia ihres Palastes, angebracht waren, mit der Zeit jedoch immer mehr in öffentliche Räume vordrangen und so den Machtanspruch der Medici demonstrierten. Besondere Beachtung verdienen dabei die in den Impresen verwendeten Symbole, die für die Selbstinszenierung und in Konkurrenz mit anderen mächtigen Familien von erheblicher Bedeutung waren. Die unterschiedlichen Impresen können teilweise einzelnen Vertretern der Medici zugeordnet werden, gleichzeitig nutzten manche Familienmitglieder aber auch mehrere unterschiedliche Impresen. Im Anschluss an den Vortrag wurden insbesondere die symbolhafte Bedeutung der Farbigkeit mancher Impresen sowie konkurrierende Impresen und Wappen, vor allem zu den Zeiten des Exils der beiden Medici, diskutiert. Auch wurden Fragen nach der „Lesbarkeit“ der Impresen für verschiedene Bevölkerungsgruppen und nach den Adressaten der Darstellungen aufgeworfen. Antworten müssen freilich vom jeweiligen Einzelfall ausgehen und sind kaum von den historischen Kontexten zu trennen.

In einer vergleichenden Analyse der Städte Wien, Köln und Leipzig beschäftigte sich JANA MADLEN SCHÜTTE (Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung in Stuttgart) unter dem Titel „Apotheker zwischen Konflikt und Kooperation. Ihre Auseinandersetzungen mit Fakultät, Rat und Landesherr in Wien, Köln und Leipzig vom 14. bis 16. Jahrhundert“ mit den Aushandlungsprozessen im Zuge der Normierungsbestrebungen des Apothekerwesens. Ausgehend von der Perspektive der Apotheker und in erster Linie auf Grundlage normativer Quellen standen die zum Teil damit verbundenen Konflikte im Mittelpunkt, ebenso die Eidesformeln, die Ausbildung, Aufgaben und Befugnisse der Apotheker festlegten und gleichzeitig beschränkten. Die Auseinandersetzungen der Apotheker mit Fakultät, Rat und Landesherr unterschieden sich in den ausgewählten Städten nach Interessenlage der jeweiligen Akteure. Während in Wien seit dem ersten Entwurf einer Apothekerordnung (1405) von Seiten der Fakultät Normierungsbestrebungen bestanden, diese von Rat und Apothekern aufgrund mangelnden Interesses bzw. der drohenden Beschneidung ihrer Befugnisse bis zur tatsächlichen Erlassung einer Ordnung (1564) aber abgelehnt wurden, gingen Fakultät und Rat in Köln gemeinsam gegen die Apotheker vor und setzten bereits 1478 eine erste Ordnung durch. In Leipzig hingegen gingen die Normierungsbestrebungen vom Landesherrn aus, wobei wegen des unzureichenden Einsatzes von Rat und Fakultät zwar 1549/88 Apothekereide eingeführt wurden, eine Ordnung jedoch ausblieb.

FLORIAN DIRKS (Hamburg/Erfurt) behandelte in seinem Vortrag „up de lantwere to der Sture – Orte für Ausgleichsbemühungen in Konflikten zwischen Landstädten und Adligen im Nordwesten des Reichs (14./15. Jahrhundert)“ die Landwehren Bremens und schilderte deren Aufbau sowie beispielhaft anhand eines Konflikts der Stadt Bremen mit dem Grafen von Hoya deren Nutzung. Dieser Vortrag stand thematisch im Rahmen seiner 2015 unter dem Titel „Konfliktaustragung im norddeutschen Raum des 14. und 15. Jahrhunderts. Untersuchungen zu Fehdewesen und Tagfahrt“ publizierten Dissertationsschrift. Die Landwehren, die zum Schutz der die Stadt umgebenden Dörfer und Felder errichtet wurden, hatten, so Dirks, auch symbolischen Wert und wurden, wie im vorgetragenen Beispiel zwischen Bremen und Hoya, bei Ausgleichsbemühungen in Konflikten als Orte der Begegnung genutzt. Die Diskussion thematisierte neben der Weiternutzung der Landwehren – so wurden einzelne Gebäude beispielsweise zu Gasthäusern ausgebaut – insbesondere neben der ursprünglichen Funktion als Einrichtungen der militärischen Sicherheit deren symbolischen Wert.

Zuletzt stellte MANUEL BECKER (Kiel) unter dem Titel „Friedensstifter oder fürstliche Parteigänger? Die Wolfenbütteler Landstände als Mittler zwischen Herzog Heinrich dem Jüngeren und der Stadt Braunschweig in der Mitte des 16. Jahrhunderts“ einen Teilaspekt seiner in Arbeit befindlichen Dissertation vor. Die Landstände haben als von beiden Parteien gewünschte Mittler in den Auseinandersetzungen um Herrschaftsansprüche zwischen dem katholischen Herzog und der seit 1528 protestantischen Stadt Braunschweig agiert. Anhand eines Fallbeispiels stellte Becker sowohl die Motive und Interessen der Landstände als auch deren Handlungsmöglichkeiten und -grenzen im Vermittlungsvorgang vor. In den Auseinandersetzungen der 1540er-Jahre hätten sich die Landstände auch in eigenem Interesse um eine friedliche Lösung bemüht, begründet unter anderem in einer von den Landständen erwünschten Mehrung ihres symbolischen Kapitals, außerdem in der Vermeidung des Einbezugs in Kampfhandlungen und der dadurch entstehenden Kosten. Trotz mehrfacher Treffen und einer allmählichen Annäherung der Parteien sei es jedoch zu einer militärischen Austragung des Konflikts gekommen. Das Scheitern der Landstände in ihren Bemühungen um eine friedliche Konfliktlösung erklärte sich nach Becker insbesondere durch ihren begrenzten Handlungsspielraum, weil sie aufgrund fehlender Befugnisse kein Urteil fällen konnten und im Verlauf der Vermittlungen zumeist auch eher in der bloßen Funktion als Boten auftraten. In der Diskussion wurden die Bedeutung der Konfessionalisierung für den Konflikt sowie das Wissen der Landstände um eine drohende Eroberung des Wolfenbütteler Territoriums durch den Schmalkaldischen Bund unterstrichen.

Anhand zeitlich und geographisch weit gefächerter Themen sowie der Schwerpunktlegung auf sowohl historische als auch auf kunstgeschichtliche Fragestellungen konnten auf dieser Tagung verschiedene Konflikte zwischen herrschaftlichen und städtischen Akteuren und deren Austragungen herausgearbeitet werden. Es zeigte sich, dass das für diese Tagung gewählte Themenfeld vielfache Ansätze zur Erforschung von Aushandlungsprozessen bietet.

Konferenzübersicht:

Gerhard Fouquet (Kiel), Begrüßung

Stephan Sander-Faes (Zürich), Residenzstadt oder Stadtresidenz? Akteure, Normen und Praktiken am Beispiel Krumaus (um 1700)

Nancy Lambertz (Düsseldorf), Christian Cruwell – Das Leben eines Lemgoer Kaufmannes im ausgehenden 16. Jahrhundert

Maren C. Biederbick (Kiel), Von Cosimo il Vecchio zu Cosimo I. – Herrscher-Inszenierung der Medici durch Impresen-Anbringung im öffentlichen und privaten Raum

Jana Madlen Schütte (Stuttgart), Apotheker zwischen Konflikt und Kooperation. Ihre Auseinandersetzungen mit Fakultät, Rat und Landesherr in Wien, Köln und Leipzig vom 14. bis zum 16. Jahrhundert

Florian Dirks (Hamburg/Erfurt), „up de lantwere to der Sture“ – Orte für Ausgleichsbemühungen in Konflikten zwischen Landstädten und Adligen im Nordwesten des Reichs (14./15. Jahrhundert)

Manuel Becker (Kiel), Friedensstifter oder fürstliche Parteigänger? Die Wolfenbütteler Landstände als Mittler zwischen Herzog Heinrich dem Jüngeren und der Stadt Braunschweig in der Mitte des 16. Jahrhunderts